Vom Alltag auf der Intensivstation am Krankenhaus Holweide

Immer wieder gibt es kleine Wunder

Verena Muck ist Stationsleitung auf der interdisziplinären Intensivstation I0 im Krankenhaus Holweide. Der Beruf ist für sie gleichermaßen Berufung – eine, die sie zusammen mit ihrem 50-köpfigen Team täglich lebt. Dabei stehen enorme Herausforderungen ebenso an der Tagesordnung, wie kleine Wunder.

Verena Muck ist Stationsleitung auf der interdisziplinären Intensivstation. ©Panousi

Die Intensivpflege erfordert von den Pflegefachkräften jederzeit einen kühlen Kopf und Flexibilität: Schließlich können Notfälle zu jeder Tages- und Nachtzeit eingeliefert werden. Nicht selten kommt es auch vor, dass sich der Zustand eines Patienten auf den peripheren Stationen (ohne Intensivbetreuung) ohne Vorwarnung so rapide verschlechtert, dass eine Verlegung auf die Intensivstation notwendig ist. „Der Intensivbereich ist generell ein schnelllebiges Geschäft – doch seit Corona haben sich die Anforderungen an mein Team und mich deutlich verschärft“, fasst Verena Muck zusammen. „Wir müssen fast täglich damit rechnen, dass es ein neues (Hygiene-) Konzept gibt, das es im Krankenhaus und auf den Intensivstationen innerhalb kürzester Zeit umzusetzen gilt. Diese Anpassungen kommen zu meinen koordinativen und organisatorischen Tätigkeiten, wie beispielsweise dem Ausfallmanagement, der Materialbestellung, Dienstplanung und dem Telefondienst dazu; das Telefon steht übrigens selten still.“ Umso wichtiger in diesen Zeiten sei es daher, dem Team eine Struktur zu geben und Sicherheit zu vermitteln: Ergänzend zur täglichen Visite mit dem ärztlichen Personal gibt es daher jeden Morgen um halb neun eine Frühbesprechung der Pflege; alle Stationsleitungen treffen sich mit der Pflegedienstleitung (PDL) zur Bestandsaufnahme: Wo gibt es Hilfebedarf im Haus? Was ist am heutigen Tag zu tun? Hinzu kommen unterstützende Mitarbeitergespräche, die Verena Muck jeden Tag mit ihren Teammitgliedern führt. Jeden Mittwoch findet zudem ein Corona-Meeting statt, in dem neue Maßnahmen, z. B. Besucherregelungen oder der Umgang mit Angehörigen am Telefon besprochen werden.

 

Emotionaler Beistand ist auch für die Teammitglieder von großer Bedeutung

Neben der Tatsache, dass auf der Intensivstation I0 im Holweide auch an Covid-19 erkrankte Patientinnen und Patienten versorgt werden (bis zu vier Erkrankte sind es täglich im Schnitt), sieht sich Verena Muck noch mit einer weiteren Hauptverantwortlichkeit konfrontiert: „Eine regelmäßige und transparente Kommunikation ist enorm wichtig. Meine Aufgabe als Stationsleiterin ist es, Aufklärungsarbeit innerhalb des Teams zu leisten und als Ansprechpartnerin da zu sein. Denn man darf nicht vergessen: Die psychische Belastung, der wir als Pflegefachkräfte in Zeiten von Corona ausgesetzt sind, ist nicht zu unterschätzen. Ich persönlich merke in Mitarbeitergesprächen immer wieder, dass die Ängste im Team steigen – das betrifft vor allem die Sorge, das Virus mit nach Hause zu nehmen. Es ist wichtig, die Sorgen ernst zu nehmen und natürlich sicherzustellen, dass optimale Schutzausrüstung zur Verfügung steht und Hygienekonzepte eingehalten werden.“

In der Corona-Pandemie noch enger zusammengerückt: das Team der interdisziplinären Intensivstation. ©PanousiInsgesamt sei das Team seit Corona näher zusammengerückt; die Teammitglieder unterstützen einander, wo sie nur können, berichtet Verena Muck. Das liege auch daran, dass alle an einem Strang ziehen und bestimmte Arbeitsabläufe durch Corona schlichtweg zeitaufwändiger sind, beispielsweise wenn es um die Isolation von infektiösen Patienten und das Anlegen der Schutzmontur geht - man ist aufeinander angewiesen. „Corona ist allgegenwärtig – privat und ebenso im Arbeitsumfeld. Das gilt umso mehr für Krankenhäuser und die Intensivstationen.“

 

Breites Behandlungsspektrum der Intensivpatienten

Fünfzig Personen kümmern sich unter der Leitung von Verena Muck tagein tagaus um das Wohl der Patientinnen und Patienten. Pflegefachkräfte, Reinigungspersonal und Servicemitarbeitende arbeiten Hand in Hand und ermöglichen einen reibungslosen Ablauf auf den Stationen. „Hinzu kommen noch das ärztliche Personal und Medizinstudenten, die uns bei Praxiseinsätzen auf der Station unterstützen. Pro Tag betreuen wir zwischen zehn bis zwölf Patienten auf der interdisziplinären Intensivstation – inklusive der an Covid-19 erkrankten Personen.“  Dabei sind die Krankheitsbilder weitreichend: Akutes Nierenversagen, Herz-Kreislauf-Störungen, Intoxikationen, Lungenerkrankungen wie COPD, COVID-19, Lungenentzündungen (Pneumonie) oder Blutungen im Verdauungstrakt (gastrointestinale Blutung) sind der Inneren Medizin zugeordnet. Typisch für den chirurgischen Bereich sind Hüftfrakturen, Patienten mit Knochenbrüchen nach einem Verkehrsunfall oder auch die Hemikolektomie; das ist die chirurgische Entfernung eines Teils des Dickdarms. Hinzu kommen urologische und gynäkologische Patientinnen und Patienten, sowie Eingriffe aus dem Bereich Hals-Nasen-Ohren – hier kommt es oftmals zu einer Entfernung von Tumorgewebe (Tumorresektion), beispielsweise am Hals.

 

Intensivpflege ist eine bewusste Entscheidung

Das Team sorgt für eine optimale Patientenversorgung und -sicherheit. ©PanousiIm Gegensatz zu den „normalen“ (peripheren) Stationen im Krankenhaus, geht es auf den Intensivstationen immer um Leben und Tod – die Patienten befinden sich aufgrund von entsprechenden Krankheitsbildern in lebensbedrohlichen Situationen und werden mit hochsensiblen Medikamenten behandelt. Dies erfordert eine Intensivbetreuung sowie eine spezielle Mund- bzw. Körperpflege und ist auch der Grund, weshalb eine Pflegefachkraft maximal bis zu drei Patienten pro Schicht betreut. Kontinuierliche Aufmerksamkeit am Patienten ist das A und O: „„Es ist lebenswichtig, dass wir auch die kleinsten Veränderungen am Patienten bemerken: von gelben Hautverfärbungen, die auf einen Leberschaden hindeuten über veränderte Körpersprache bis hin zu Panikattacken, müssen wir alles rechtzeitig erkennen und situativ richtig reagieren.“ Die Zusammenarbeit zwischen ärztlichem Personal, Physiotherapie, Pflege und Servicekräften ist eng – auf diese Weise sorgt das interdisziplinäre Team für eine optimale Patientenversorgung und –sicherheit.

 

Immer wieder gibt es kleine Wunder

Die Schutzkleidung wird nach jedem Patientenkontakt komplett gewechselt. ©PanousiVerena Muck betont: „Intensivpflege ist besonders und man braucht eine Motivation, einen inneren Antrieb, um sich der täglichen Arbeit an der Grenze zwischen Leben und Tod zu stellen. Neben schweren Schicksalen gibt es aber auch immer wieder kleine Genesungswunder. Für mich ist die größte Motivation, dass ich durch mein Handeln etwas bewirken kann und Menschen helfe. Beispielsweise dann, wenn wir einen Patienten nach einer Reanimation endlich zu seiner Familie nach Hause schicken können. Vor der Pandemie haben wir zu unserer großen Freude manchmal Besuch von genesenen Patienten bekommen, die sich bedankt haben und zeigen wollten: Dank euch geht es mir wieder gut. Das ist die größte Anerkennung.“ Doch nicht immer kann ein Patient die Intensivstation verlassen: Regelmäßig bekommen Verena Muck und ihr Team schlimme Schicksalsschläge hautnah mit: „Gerade bei sehr jungen Patienten unter dem 30. Lebensjahr oder dann, wenn die Patienten in einem ähnlichen Alter wie die eigenen Eltern sind, geht es ans Eingemachte. Umso wichtiger ist es dann, im Team über das Erlebte zu sprechen und auch privat Rückhalt zu erfahren“, berichtet Verena Muck.

 

Zurzeit kein Lippenlesen: In Zeiten von Corona ist es schwerer. Körpersprache zu deuten

Die Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten funktioniert viel über Körpersprache: „Eine Berührung hilft viel und zeigt dem Patienten, dass er oder sie nicht alleine ist. Wir sind da und spenden Trost.“ Wenn Patienten bewegungsunfähig sind, haben sich Verena Muck und ihr Team häufig anhand des Lippenlesens an die Bedürfnisse der Patienten angenähert – doch das Lippenlesen fällt in Zeiten von Corona und Alltagsmaske natürlich weg. Das Team der I0 hat daher andere Möglichkeiten der Kommunikation etabliert: „Stift und Zettel helfen klassischerweise immer – vorausgesetzt, der Patient ist motorisch dazu in der Lage. Wir wenden auch häufig Musiktherapie an und spielen den Patienten Lieder vor, die sie mögen – oder wir lassen das Radio laufen. Nach Möglichkeit halten wir auch das Telefon ans Patientenohr, denn selbst wenn der Patient selbst nicht sprechen kann (wenn er beispielsweise beatmet wird), ist die Stimme eines Verwandten tröstlich und tut einfach gut“, so Muck.

 

Seelischer Beistand hilft beim Überwinden von „Trennungsschmerz“

Es ist lebenswichtig, dass die Pflegefachkräfte auch die kleinsten Veränderungen am Patienten bemerken. ©PanousiNeben pflegerischen Tätigkeiten leistet das Team der interdisziplinären Intensivstation I0 vor allem seelischen Beistand – gerade jetzt, wo der Kontakt zu Angehörigen kaum möglich ist. Verena Muck bringt es auf den Punkt: „Wir helfen unseren Patienten dabei, über den vorübergehenden Trennungsschmerz von Familie und vertrauten Menschen hinwegzukommen.“

Bei all der Verantwortung und der täglichen Mitverantwortlichkeit an der Schwelle zwischen tot und lebendig, stellt sich die Frage, ob für Verena Muck und ihr Team im Alltag überhaupt Zeit bleibt, einmal innezuhalten und stolz auf die eigene Arbeit zu sein. Verena Muck schmunzelt: „Oftmals bleibt in akuten Situationen dazu wenig Zeit. Es ist aber gut, wenn man sich selbst und den Teamkollegen regelmäßig auf die Schulter klopft und situativ Anerkennung ausspricht. Ganz nach dem Motto: ‚Das haben wir zusammen gewuppt – darauf dürfen wir stolz sein‘ oder ,Du hast in dieser Situation vollkommen richtig gehandelt‘ – solche Worte der Anerkennung sind enorm wichtig.“

(cb)